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Wohnung zu vermieten

Lea Goldberg, Wohnung zu vermieten

aus dem Hebräischen von Sonja Pilz


In einem schönen Tal, zwischen Weinbergen und Feldern, steht
Ein fünfstöckiger Turm: Und wer wohnt in dem Turm?
Im ersten Stock ein dickes Huhn. Den ganzen Tag in seinem Haus
Wälzt es sich im Bett herum. Es ist so dick,
Dass ihm das Gehen schwer fällt.
Im zweiten Stock wohnt ein Kuckuck. Den ganzen Tag ist er unterwegs,
Macht Besuche, denn seine Söhne wohnen in anderen Häusern.
Im dritten Stock eine pechschwarze und reinliche Katze,
Kokett. Um den Hals trägt sie ein Band.
Im vierten Stock wohnt ein Eichhörnchen. Mit Freude
Und Behagen knackt es Nüsse.
Und im fünften Stock wohnt Herr Maus. Jedoch, vor
Einer Woche packte er und fuhr. Keiner weiß
Wohin und weshalb.
Die Mieter des Turmes schrieben ein Schild,
Schlugen einen Nagel über die Tür
Und befestigten ein Schild an der Wand:
Wohnung zu vermieten.

Und schon, auf Pfaden, Wegen und Straßen-
Zum Haus kommen neue Mieter.
Als erste kommt eine Ameise, sie steigt zum fünften Stock hinauf,
Liest das Schild, öffnet die Tür,
Steht im Raum und sieht sich um.
Von allen Wohnungen kommen die Nachbarn, stehen um sie herum,
Kommen ihr freundlich entgegen:
-Gefallen Ihnen die Zimmer?
-Ja.
-Finden Sie die Küche schön?
-Ja.
-Also dann, wohnen Sie bei uns, Ameise!
-Nein, ich werde nicht [hier]wohnen.
-Warum?
Die Ameise sagt:
-Die Nachbarn gefallen mir nicht. Wie soll ich,
die Ameise, in einem Haus mit diesem Huhn wohnen?
Den ganzen Tag wälzt es sich im Bett herum,
Vor lauter Fett fällt ihm das Gehen schwer.
Das Huhn war beleidigt,
Und die Ameise machte sich davon.

Die Ameise ging, die Häsin kam.
Sie eilt geschwind in den letzten Stock. Liest das Schild,
Öffnet die Tür, steht im Raum und sieht sich um.
Aus allen Wohnungen kommen die Nachbarn, stehen um sie herum,
Kommen ihr freundlich entgegen.
-Gefallen Ihnen die Zimmer?
-Ja.
-Finden Sie die Küche schön?
-Ja.
-Gefällt Ihnen der Korridor?
-Ja.
-Also dann, wohnen Sie bei uns, Häsin!
-Nein, ich werde nicht [hier] wohnen.
-Warum?
-Die Nachbarn gefallen mir nicht. Wie soll ich hier wohnen,
Mutter von zehn Häschen, mit einem zügellosen Kuckuck
Mit Söhnen? Alle seine Söhne wohnen in fremden
Nestern, alle sind sie verlassen.
Alle sind zügellos. Was werden meine Kinder
Von ihnen lernen?
Der Kuckuck war beleidigt,
Und die Häsin machte sich davon.

Die Häsin ging, das Schwein kam.
Es las das Schild, "Wohnung zu vermieten". Und nachdem es das Schild gelesen hatte, drehte es sich um und stieg hinauf und öffnete die Tür.
Steht und sieht sich mit seinen kleinen Augen die Wände an,
Die Zimmerdecke und die Fenster.
Aus allen Wohnungen kommen die Nachbarn, stehen
Um es herum, kommen ihm freundlich entgegen.
-Gefällt Ihnen die Wohnung?
-Ja.
-Finden Sie die Küche schön?
-Ich finde die Küche schön, auch wenn sie nicht schmutzig ist!
-Gefällt Ihnen der Korridor?
-Ja.
-Also dann, wohnen Sie bei uns!
-Nein, ich werde nicht [hier] wohnen.
-Warum?
-Die Nachbarn gefallen mir nicht. Wie soll ich, das Schwein, ein weißer Sohn von Weißen seit Anbeginn der Zeit, unter einem Dach mit einer pechschwarzen Katze wohnen? Das gefällt mir nicht und das ist nicht passend für mich!
Die Nachbarn riefen:
Geh, mach dich davon, Schwein!
Auch uns gefällt das nicht!

Das Schwein machte sich davon, die Nachtigall kam.
Die Nachtigall singt mit jubelnder Stimme, steigt hinauf
In den letzen Stock. Liest
Das Schild, öffnet die Tür, sieht sich die Wohnung an,
Die Wände, die Zimmerdecke...
Aus allen Wohnungen kommen die Nachbarn, stehen
Um sie herum, kommen ihr freundlich entgegen:
-Gefallen Ihnen die Zimmer?
-Ja.
-Finden Sie die Küche schön?
-Ja.
-Also dann, wohnen Sie mit uns!
-Nein, ich werde nicht [hier] wohnen. Die Nachbarn gefallen mir nicht. Denn wie soll ich [hier] in Ruhe und mit Freude wohnen, und das Eichhörnchen knackt den ganzen Tag Nüsse. Das Geräusch des Knackens steigt bis zum Himmelszelt, fürchterlich und grauenvoll, ohrenbetäubend. Meine erfahrenen Ohren sind für andere Geräusche [gemacht], nur für Lieder und Gedichte.
Das Eichhörnchen war beleidigt,
und die Nachtigall machte sich davon.

Die Nachtigall ging, die Taube kam.
Sie stieg geschwind in den letzten Stock. Liest
Das Schild, öffnet die Tür, steht im Raum
Und sieht sich um.
Alle Nachbarn kommen zu ihr, stehen um sie herum,
Kommen ihr freundlich entgegen.
-Gefällt Ihnen die Wohnung?
-Die Wohnung ist eng.
-Finden Sie die Küche schön?
-Die Küche ist schön, aber sie ist nicht geräumig.
-Gefällt Ihnen der Korridor?
-Er ist sehr schattig, der Korridor ist finster.
-Und deshalb werden Sie nicht mit uns wohnen?
-Und ob ich [hier] wohnen werde, sehr gerne, denn die Nachbarn gefallen mir.
Das Huhn – ein toller Hahnenkamm,
Der Kuckuck – eine Schönheit,
Die Katze – so wunderbar reinlich,
Und das Eichhörnchen ist Nussbesitzer.
Es weiß, wie man ein fröhliches Leben lebt.
Ich sehe, dass wir zusammen leben können
In Frieden und Freude und guter Freundschaft.

Die Taube mietete die Wohnung, täglich gurrt sie in ihrem Zimmer.
So steht in einem schönen Tal, zwischen Weinbergen und Feldern, ein fünfstöckiger Turm. Und in dem Turm wohnen bis heute, gute Nachbarn
Ein Leben in Frieden.


Lea Goldberg, Dira le-haskir, Bnei-Brak 2007.



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