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Kommentar

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Flüchtlinge oder Vertriebene?

„Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck “Flüchtling” auf jede Person Anwendung, […] die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.“ (UNHCR 1951: Art. 1.A)

So wurde 1951 der Begriff Flüchtling in der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegt, die 1954 in Kraft trat. Damit verpflichteten sich die unterzeichnenden Staaten, die Rechte und Pflichten von Flüchtlingen besonders zu wahren. Die Autoren der vorgestellten Artikel Ali Rabāh und Dr. Ghāzī Waznī verwenden den Begriff Flüchtling auf unterschiedliche Weise. Während Ali Rabāh die Personen Gruppe der syrischen Geflüchteten als Flüchtlinge bezeichnet, differenziert Dr. Ghāzī Waznī zwischen den Begriffen Flüchtlinge und Vertriebene. Das arabische Wort lāğiʾ wird im Deutschen in der Regel mit „Flüchtling“ wiedergegeben, so wurde es auch hier übersetzt. Dr. Ghāzī Waznī verwendet neben dem Begriff lāğiʾ überwiegend das arabische Wort nāziḥ, was sich im Deutschen mit „Vertriebener“ übersetzen lässt. Dieser Bedeutungs- und Verwendungsunterschied ist spielt beim Verständnis der beiden Artikel eine wichtige Rolle.

Der Begriff Flüchtling (lāğiʾ) ist durch die UN-Konvention von 1951 fest definiert. So ist es unter anderem die Pflicht des aufnehmenden Staates, den Flüchtling vor Diskriminierung zu schützen, die freie Religionsausübung zu gewährleisten und ihm den Zugang zu Gerichten zu gewähren. (Vgl. ebd.: Art. 3, 4, 16) Ein wesentlicher Artikel der Konvention ist Artikel 33:

„Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.“ (Ebd. Art. 33.1)

Das bedeutet, dass ein Staat, der die Konvention, die 1967 um das „Protokoll der Rechtsstellung der Flüchtlinge“ erweitert wurde, unterzeichnet, verpflichtet ist, die Flüchtlinge aufzunehmen, zu schützen und sie nicht zurückzuweisen. Der Libanon hat bis heute weder die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 noch das erweiternde Protokoll von 1967 unterzeichnet, sodass er an diese Konvention nicht gebunden ist. Dr. Ghāzī Waznī bezeichnet somit die syrischen Geflüchteten bewusst als Vertriebene und kritisiert, dass die Regierung den Status der Geflüchteten bisher nicht klar definiert hat. Durch die fehlende Anerkennung des Status als Flüchtlinge stehen sie nicht unter dem Schutz der Konvention und können sich zudem nicht auf Artikel 33 berufen. Da der Begriff Vertriebene in diesem Zusammenhang nicht definiert ist, genießen die Geflüchteten mit diesem Status nicht den gleichen Schutz wie Flüchtlinge. Somit haben sie keine Möglichkeit eine Arbeitsstelle anzunehmen, eine Krankenversicherung zu erhalten, keinen Zugang zu öffentlichen Behörden wie beispielsweise Gerichten und können des Landes verwiesen werden.

Obwohl der Libanon nicht Konvention von 1951 nicht unterzeichnet hat, hat er zugestimmt, dass der UNHCR die Geflüchteten registriert und unterstützt. Um die rechtliche Situation der zahlreichen syrischen Geflüchteten zu sichern, ist es notwendig, dass der Libanon ihren Status definiert.

 

Die politische Lage Libanons und die Geflüchteten

Als 2005 bei der sogenannten Zedernrevolution infolge der Ermordung des damaligen Ministerpräsidenten Rafīq al-Harīrī zahlreiche Libanes*innen auf die Straße gingen und gegen die syrische Besatzung durch die Regierung al-Assads protestierten, bildeten sich die Bündnisse 14. März und 8. März heraus, in denen sich anti- beziehungsweise pro-syrische Gruppierungen versammelten. Diese kontrahierenden Bündnisse sowie inter- und intrakonfessionelle Spannungen führten zu einer Vielzahl an Konflikten, die bis heute die libanesische Politik prägen und hemmen. 2006 zerbrach die Regierung, die dem Proporzsystem entsprechend aus Mitgliedern der verschiedenen religiösen Gruppen bestehen muss, als der Julikrieg zwischen Israel und der Hizbollah ausbrach, sodass der Libanon zweitweise über keinen Ministerpräsidenten verfügte. Nachdem bürgerkriegsähnliche Zustände angehalten hatten, als sich die Hizbollah und sunnitische Gruppen bekämpft hatten, und die internationale Gemeinschaft und die Arabische Liga intervenierte, konnte die Regierung stabilisiert werden. Erst Ende 2009 gelang es den zerstrittenen Parteien eine Einheitsregierung zu bilden (Felsch 2010: 379). So wurde Michel Sulaimān zum Ministerpräsidenten gewählt, der bis Mai 2014 im Amt war. Seit dem Ende seiner Amtszeit ist diese Position nicht besetzt. Das Fehlen eines Ministerpräsidenten, vor allem während des Syrienkrieges, führte bis heute zu einer instabilen Regierung, die aufgrund der interreligiösen und interparteilichen Konflikte bewegungsunfähig zu sein scheint. Diese Machtlosigkeit erklärt, weshalb die Lage im Libanon stagniert und Regelungen und klare Gesetze für den Umgang mit den zahlreichen syrischen Geflüchteten fehlen (Koß 2014: 2-3).

Derzeit bilden syrische nach palästinensischen Geflüchteten mit 3,88 Millionen vom UNHCR registrierten Geflüchteten die zweitgrößte Gruppe weltweit. Von allen Geflüchteten weltweit leben im Moment etwa 23,5% in der Türkei, in Jordanien und im Libanon. Davon lebt die zahlenmäßig größte Gruppe in der Türkei; auf die Einwohnerzahl hochgerechnet nahm bisher der Libanon die größte Menge auf. Allerdings liegt Schätzungen zufolge die Dunkelziffer der nichtregistrierten Flüchtenden und Geflüchteten bei mehreren hunderttausend Menschen. Während die Unterbringungsmöglichkeit in Camps im Libanon beschränkt ist, da die Regierung bisher keine weiteren Camps errichten ließ, leben viele im Norden des Landes an der Grenze zu Syrien, in der Bekaa-Ebene im Nordosten oder an der Küste im Westen, wie in den Küstenstädten Beirut oder Tripoli. An der Küste sind zudem die palästinensischen Camps aufgebaut, in denen zunehmend auch syrische Geflüchtete leben, die sich illegal im Libanon aufhalten, da sie hoffen, dort nicht von den libanesischen Sicherheitsbeamten gefunden zu werden. Da immer mehr Syrer*innen in den Libanon kommen, von denen viele eine medizinische Versorgung benötigen, sind die Krankenhäuser zunehmend überlastet und können nicht alle Patient*innen behandeln (Behrouzan/Parkinson 2015: 325).

 

Zusammenfassung und Fazit

In den vorgestellten Artikeln „Wenn sich der Libanon in ein großes Camp verwandelt“ von Ali Rabāh und „Vertreibung, Asyl und Gefahren im Libanon“ von Dr. Ghāzī Waznī kritisieren beide Autoren den Umgang der libanesischen Regierung mit der Herausforderung von zahlreichen syrischen Geflüchteten. Die Regierung ist geprägt von massiven Konflikten, die sich besonders in zwei Koalitionen ausdrückt. Auf der einen Seite steht das Bündnis 14. März, das anti-syrisch und pro-westlich eingestellt ist und von Sunniten dominiert wird, und auf der anderen Seite das Bündnis 8. März, das pro-syrisch agiert dem die schiitische Hizbollah angehört. Der Artikel von Ali Rabāh erschien in der anti-syrisch geprägten Zeitung al-Mustaqbal und betont die politischen und wirtschaftlichen Probleme Libanons, die schon vor der Aufnahme der Geflüchteten bestanden habe. Dr. Ghāzī Waznī, dessen Artikel in der Zeitung al-Manār erschien, die zum Bündnis der 8. März zählt und der Hizbollah nahesteht, stellt ebenfalls die massiven Konflikte des Landes dar, sieht jedoch die Ursache besonders bei der Einwanderung der Geflüchteten. In diesem Zusammenhang weist er auf den rechtlichen Status der Personen hin, der dadurch, dass der Libanon die UN-Konvention von 1951 nicht unterzeichnete, unklar ist. Aufgrund dessen genießen die Geflüchteten nicht den Schutz wie international anerkannte Flüchtlinge. Er plädiert dafür, die syrischen Geflüchteten zeitnah in ihr Heimatland zurückzuschicken. Während derzeit über eine Million syrische Geflüchtete im Libanon leben, das aufgrund der politischen Instabilität kaum in der Lage ist, der Situation Herr zu werden, verschlechtert sich die Versorgung und Unterbringung der Geflüchteten zunehmend. Trotz der stark divergierenden politischen Positionen sind sich beide Autoren darin einig, dass die Stabilisierung der libanesischen Regierung und damit ihrer politischen Führung eine zwingende Voraussetzung für eine Verbesserung der Lage im Libanon darstellt. 

 

Literaturverzeichnis

Felsch Maximilian. 2010. „Der Libanon zwischen Integration und Fragmentierung.“ In Robert, Rüdiger/Saleem, Shazia/Daniela Schlicht (edd.). Kollektive Identitäten im Nahen und Mittleren Osten. Studien zum Verhältnis von Staat und Religion. Münster/New York/München/Berlin: Waxmann-Verlag, 379-399.

Koß, Maren. 2014. „Der Libanon im Sog des syrischen Bürgerkrieges.“ In German Institute of Global and Area Studies 2, 1-8.

Jorisch, Avi. 2004. Beacon of Hatred. Inside Hizballah’s al-Manār Television. Washington: The Washington Institute for Near East Policy.

Nötzold, Katharina. 2015a. „Libanon: Freie Medien im Dienste ihrer Zahlmeister.“ In Richter, Carola/Asiem El Difraoui (edd.). Arabische Medien. Konstanz/München: UVK Verlagsgesellschaft, 215-225.

Nötzold, Katharina. 2015b. „The Harīrīs, Father and Son: The Making and Unmaking of Moguldom?“ In Sakr, Naomi/Jakob Skovgaard-Petersen (edd.). Arab Media Moguls. London/New York: I.B. Tauris, 63-80.

Parkinson, Sarah/Orkideh Behrouzan. 2015. „Negotiating Health and Life: Syrian Refugees and the Politics of Access in Lebanon.“ In: Social Science & Medicine 146, 324-331.

 

Onlinequellen

Ban Ki-moon ermahnt Libanon zur Neutralität. 2016. http://www.unric.org/de/uno-schlagzeilen/26942-ban-ki-moon-ermahnt-libanon-zur-neutralitaet-im-syrischen-buergerkrieg (zuletzt überprüft am 30.09.2016).

Kuwait: UN-Geberkonferenz. 15.01.2013. http://www.unric.org/de/uno-schlagzeilen/27227-kuwait-un-geberkonferenz-fuer-syrien-beginnt (zuletzt überprüft am 30.09.2016).

Libanon-Konferenz. 05.03.2014. http://web.archive.org/web/20140311184659/http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Aktuelle_Artikel/Libanon/140305-BM-LBN-Konf.html (zuletzt überprüft am 17.11.2016).

Rabāh, Ali. 22.11.2015. In: Al-Mustaqbal. http://www.almustaqbal.com/v4/Article.aspx?Type=NP&ArticleID=682003 (zuletzt überprüft am 30.09.2016).

The Worldbank Lebanon. 01.04.2016. http://web.archive.org/web/20160910074548/http://www.worldbank.org/en/country/lebanon/overview (zuletzt überprüft am 17.11.2016).

UN-Flüchtlingshilfe. 2015. https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/fluechtlinge/zahlen-fakten/wc/J102?gclid=CPjNgMbjts8CFQXnGwodG2oNug (zuletzt überprüft am 30.09.2016).

UNHCR. 1951. Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951. http://web.archive.org/web/20160604105743/http://www.unhcr.de/fileadmin/rechtsinfos/fluechtlingsrecht/1_international/1_1_voelkerrecht/1_1_1/FR_int_vr_GFK-GFKundProt_GFR.pdf (zuletzt überprüft am 17.11.2016).

UNHCR. 2016. http://web.archive.org/web/20160420174000/http://www.unhcr.de/unhcr.html (zuletzt überprüft am 17.11.2016).

UNHCR – Finanzierung. 2016. http://web.archive.org/web/20160402153054/http://www.unhcr.de/unhcr/finanzierung.html (zuletzt überprüft am 17.11.2016).

 

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